Was ist Prozessarbeit?
Prozessarbeit ist ein Modell und eine Haltung zur Bewusstseinsbildung und fördert eine disziplinübergreifende Herangehensweise individueller und kollektiver Veränderungsprozesse.
Prozessarbeit systematisiert unterschiedliche Methoden der Erkenntnisgewinnung durch die Strukturierung von Erfahrungen in unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen (wie z.B. Sehen, Hören, Spüren, Bewegen). Unabhängig davon, ob wir mit Einzelnen, Beziehungen, Teams oder Gruppen arbeiten, geht es im Kern darum, dem Fluss von Informationen mithilfe der Wahrnehmung von Signalen und Feedback zu folgen, um Veränderungsmuster und kreative Lösungen zu entdecken.
Hierdurch kann Prozessarbeit in der Praxis in manchen Momenten wie eine Gesprächstherapie oder eine Verhaltenstherapie, eine Psychodrama-Stunde, eine Imaginationsreise oder eine systemische Aufstellung aussehen, in anderen Momenten wie ein Geschäftsmeeting, eine Yogastunde oder wie eine künstlerische Tätigkeit, je nachdem, wie sich der Prozess entfalten möchte.
Die Arbeit mit Menschen kann vielfältig gestaltet werden und kommt in den unterschiedlichsten Bereichen und Settings zur Anwendung, wie z.B. in der Psychotherapie, im Coaching, in der Beratung, in der Krankenpflege, in der Politik und in der Organisationsentwicklung. Prozessarbeit kann für das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrungen genutzt werden. Hierzu gehört z.B. die Arbeit mit Konflikten, Macht und Ohnmacht, Traumata, Körpersymptomen, Träumen, Visionssuche, Trauer, Kreativität, Kritik, Nachkriegsversöhnung und Gruppendynamiken.
Das Training in Prozessarbeit fokussiert darauf, Methoden, Meta-Fähigkeiten und Werkzeuge zu erlernen, um Prozesse in unterschiedlichen Anwendungsfeldern aufzugreifen und Bewusstsein zu schaffen, um unseren Alltag zufriedener, kreativer und erfüllter zu gestalten.
Prozessarbeit geht von der Annahme aus, dass die Lösung bereits potenziell in der uns störenden Erfahrung enthalten ist und sich organisch, also von selbst, zeigt.
Zu den störenden Erfahrungen gehören z.B. körperliche Symptome, Erkrankungen, Sucht, Trauma, Beziehungskonflikte, Probleme in der Familie, schwierige Teamdynamiken, soziale, gesellschaftliche und politische Spannungen, sowie der Umgang mit innerer Abwertung und Kritik. Sogar die meisten scheinbar chaotischen Prozesse z.B. in Krisensituationen, Konfliktgebieten offenbaren eine innere Ordnung und Kohärenz, wenn wir sie mit Neugier, Mitgefühl und Respekt betrachten.
Prozessarbeit ist eine universell anwendbare Methode für individuelle und kollektive Veränderung. Die Herangehensweise ist eher phänomenologisch (beschreibend) als interpretierend, bewertend oder kategorisierend. Sie folgt keinem Programm, sondern nutzt die schöpferische Kraft, die jenseits unserer Identität als Gruppe oder Individuum bereits im System vorhanden ist, um uns zu größerem Bewusstsein und Wandlung herauszufordern und letztlich ein erfüllteres Leben führen zu können.
Prozessarbeit basiert auch auf der Annahme, dass wir alle Teil einer komplexen systemischen Dynamik sind, die sich selbst reguliert und stetig weiterentwickelt. Innerhalb dieser Dynamik werden verbale und non-verbale (Körpersprache) Ausdrucksformen, bewusstseinsnahe und bewusstseinsferne Erfahrungen sowie objektive und subjektive Perspektiven gleichberechtigt in die Entfaltung nachhaltiger Veränderungen miteinbezogen. Diese Offenheit gegenüber allen Erfahrungsebenen als Aspekte eines dynamischen Ganzen wird „Tiefe Demokratie“ genannt. In der Arbeit mit Gruppen bedeutet das auch, alle Perspektiven, Rollen und Meinungen wertschätzend einzuladen.
Ziel der Prozessarbeit
ist es das selbstorganisierende Potenzial in Individuen und Gruppen zu fördern und das Gegenüber als Partner*in zu verstehen.
Die Wurzeln der Prozessarbeit
Die Wurzeln der Prozessarbeit liegen in Psychologie von C.G. Jung, in der System- und Feldtheorie, im Taoismus, Schamanismus und der Quantenphysik, die in einer einheitlichen Methodologie und übergreifenden Theorie miteinander verbunden sind.
Prozessarbeit, die auch Prozessorientierte Psychologie genannt wird, wurde in den 1970-iger Jahren von Dr. Arnold Mindell, Physiker und Lehranalytiker am C.G. Jung Institut in Zürich, entwickelt. Er entdeckte die Verbindung von Körpersymptomen und Nachtträumen und schuf zunächst ein neues psychotherapeutisches Modell, das er „Traumkörperarbeit“ nannte. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Prozessarbeit zu einem eigenständigen und mehrdimensionalen Modell, das durch neueste Forschungen verschiedener Kolleg*innen in der ganzen Welt stetig weiterentwickelt wird. Prozessarbeit ist daher selbst ein sich stetig wandelnder Prozess.
Vor Kurzem wurde das erste Interview über Prozessarbeit veröffentlicht. Das Interview wurde 1986 von Dr. Grady Gray mit Dr. Arnold Mindell geführt und gibt Einblicke in die frühesten Ideen, Konzepte und Haltungen in der (Zusammen)-arbeit mit Menschen.
Hier klicken zum Video.
Die Gründer der Prozessarbeit – Prozessorientierten Psychologie: Arnold und Amy Mindell
Hier ein Interview mit Arnold and Amy Mindell «Tao of Creativity» von Mamaki-Film, 2017:
Was ist Worldwork® oder deutsch: Weltarbeit?
Weltarbeit (Worldwork®) ist ein Anwendungsbereich der Prozessarbeit für die Arbeit mit Konflikten und Gruppenprozessen. Weltarbeit besteht aus einem Set von Methoden, die helfen, Gruppendynamiken zu analysieren, Konfliktsituationen zu transformieren, den Dialog zwischen Menschen zu fördern und innere Achtsamkeit zu entwickeln.
Weltarbeit gründet auf einer Haltung von Tiefer Demokratie (Deep Democracy) als ein Diversitätsprinzip, das über die messbaren Komponenten von Diversität und deren Erklärung hinausgeht. Es bezieht sich nicht nur auf Personen, Positionen, Rollen und Perspektiven, die marginalisiert (ausgeschlossen) oder unterrepräsentiert sind, sondern auch auf Bewusstseinszustände, Gefühle und andere nicht greifbare Erfahrungen, die einen tiefgreifenden Einfluss auf die Gruppen- oder Teamdynamik haben. Tiefe Demokratie basiert auf der Annahme, dass die Einbeziehung von unerwünschten und ausgegrenzten Perspektiven, die Berücksichtigung von Rang- und Machtstrukturen und die bewusste Auseinandersetzung mit Privilegien zu einem besseren Miteinander und zu einer nachhaltigeren und friedfertigen Lösung führen.
Methoden der Weltarbeit wurden bereits erfolgreich in vielen konflikthaften Situationen, in politischen Auseinandersetzungen, in Kriegsgebieten, in Lebensgemeinschaften, innerhalb multi-kultureller Gruppen, im Rahmen von Leadership-Training, für offene Foren und in der Mediation etabliert. Weltarbeit wird auch in der Organisationsentwicklung, in Schulen und vielen anderen sozialen und politischen Spannungsfeldern angewendet.
Was ist Deep Democracy?
Deep Democracy oder auch Tiefe Demokratie ist eine grundlegende Haltung, wie ich Menschen und mir selbst begegne.
Deep Democracy ist auch ein Set von Methoden, die uns helfen, bewusste Veränderungen in unserem Umfeld zu unterstützen, Konflikte und Gruppendynamiken zu erkennen und zu bewältigen und als Team gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten.
Indem alle Stimmen und Perspektiven gehört werden, kann eine inklusive Entscheidungsfindung auf einer tieferen Ebenen erreicht werden. Diese Methode kann in verschiedenen Kontexten angewendet werden. Beispielsweise in Unternehmen, Schulen, Gemeinschaften oder auch in therapeutischen Kontexten.
Sie hilft dabei, ein besseres Verständnis für unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven innerhalb einer Gruppe zu erreichen.
Die Idee hinter Deep Democracy ist, dass Konflikte, Differenzen und Widerstände in Gruppen unvermeidlich sind, aber dass sie auch eine Chance darstellen. Anstatt Konflikte zu vermeiden oder zu ignorieren, bietet Deep Democracy Methoden, um sie aufzugreifen und zu nutzen.
Deep Democracy bietet eine wirkungsvolle und ganzheitliche Perspektive, um Gruppendynamiken, Konflikte, Vielfalt, Vorurteile und Privilegien besser zu verstehen und konstruktive Lösungen zu finden.
Durch die Anerkennung und Wertschätzung von Diversität, die Einbeziehung von Rang- und Machtdynamiken, das Herausfordern von struktureller Diskriminierung und verinnerlichter Unterdrückung, kann Deep Democracy Teams, Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften helfen, positive Veränderungen zu bewirken und integrativere und gerechtere Gesellschaften aufzubauen. Denn jedes Individuum und jede Gruppe hat einzigartige Qualitäten und Potentiale, die es zu bestärken gilt.
Deep Democracy ist nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen anwendbar, sondern auch auf unsere Beziehungen zur Natur und Umwelt, denn alles ist miteinander in Verbindung. Indem wir unsere tiefere Verbindung zur Natur und Umwelt schätzen und die Interaktionen und Zusammenhänge verstehen, können wir auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen und Gruppen verbessern und Wege finden, die für alle Beteiligten nachhaltig und zukunftsfähig sind.